Kriegsgefangenenlager Hollerath

Im Winter 1941 wurde deutlich, dass der Krieg gegen die Sowjetunion, anders als von der NS-Führung geplant und propagiert, nicht schnell entschieden werden würde. Nicht nur war die deutsche Wirtschaft durch den Krieg stark eingeschränkt, zugleich wurden immer mehr Jahrgänge der männlichen Bevölkerung in die Wehrmacht eingezogen. Daraus folgte, dass im September 1941 2,6 Millionen Stellen im ,Deutschen Reich’ nicht besetzt waren.1 Noch während der Planungen des Angriffs auf die Sowjetunion hatte Adolf Hitler – vor dem Hintergrund der ,nationalsozialistischen Rassenpolitik' noch ausdrücklich verboten, diese personellen Mängel durch den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener auszugleichen.2 Ab August 1941 rückte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) jedoch von diesem generellen Arbeitsverbot ab und bezeichnete den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangener als ,notwendiges Übel’.3 Diese Entwicklung veränderte die Organisation des Kriegsgefangenenwesens erheblich.4 Ein komplexes Lagernetz wurde errichtet und der Abtransport von Millionen Menschen aus den besetzten Gebieten ins ,Deutsche Reich’ eingeleitet.Eines der Lager, in denen sowjetische Kriegsgefangene fortan interniert und zu Zwangsarbeit für das ,Deutsche Reich’ gezwungen wurden, war das Kriegsgefangenenlager Hollerath.

Luftbildscan Kriegsgefangenenlager Hollerath Januar 1945 (Ausschnitt)

Das Kriegsgefangenenlager Hollerath im Januar 1945. (Quelle: 33-2144-1076; Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH.)

Hierbei handelte es sich um eines von mehreren zehntausend Lagern, die im ,Deutschen Reich’ und im Besatzungsgebiet des nationalsozialistischen Regimes errichtet wurden.6 Es befand sich neben dem staatlichen Forsthaus bei Hollerath und war ursprünglich als Kriegsgefangenenlager des V. und des VIII. Armeekorps der Wehrmacht für den ,Westfeldzug’ gedacht. Die Nationalsozialisten internierten hier zunächst polnische Zivilarbeiter:innen, dann französische Kriegsgefangene und ab Herbst 1941 sowjetische Kriegsgefangene.7

Die derzeitige Forschung geht von 100-200 internierten Personen aus der Sowjetunion aus, die ab 1942 in der Umgebung des Lagers Zwangsarbeit verrichten mussten. Dabei handelte es sich unter anderem um schwerste Arbeiten beim Wegebau im nahegelegenen Staatsforst bei Hollerath.8

Die Schrecken, denen die Kriegsgefangenen im Lager ausgesetzt waren, konnten – wie in zahlreichen Kontexten anderer Lager bereits umfassend nachgewiesen – von der lokalen Bevölkerung nicht übersehen worden sein. Das Lager befand sich nur wenige 100 Meter von den nächsten Wohnhäusern entfernt.9 Zudem berichteten zahlreiche Zeitzeug:innen über die Brutalität der Wachleute, den quälenden Hunger der Kriegsgefangenen und deren Kontakt mit der Zivilbevölkerung.10

In der unmittelbaren Nähe des Lagers verlief der sogenannte ,Westwall’, eine als vermeintliche ,Grenzschutzanlage’ propagierte Reihe von Bunker- und Befestigungsanlagen, deren militärische Bedeutung von der nationalsozialistischen Propaganda immens überhöht wurde. Tatsächlich hatte der sogenannte Westwall nur eine eingeschränkte militärische Bedeutung. Die Anlage verschleierte allerdings als vermeintlicher ,Verteidigungswall’ die eigentlich aggressiven deutschen Absichten, das ,Deutsche Reich’ im geplanten Kriegsfall nach Westen hin verteidigen zu können.11 Zusätzlich bewirkte die NS-Propaganda die Illusion eines tatsächlich einsatzbereiten ,Westwalls’, die dazu führte, dass die mit Polen verbündeten Länder Großbritannien und Frankreich nicht militärisch eingriffen, als im September 1939 der deutsche Angriff auf Polen begann.12

Als sich die deutschen Streitkräfte in den Jahren 1944/45 ins Reichsgebiet zurückziehen mussten, hatte der ,Westwall’ militärisch auf den Vorstoß der Alliierten kaum signifikante Auswirkungen, verzögerte jedoch allein durch seine rein propagierte Überlegenheit den alliierten Vorstoß maßgeblich.13 Daraus ergab sich eine entscheidende Verlängerung des Zweiten Weltkrieges. Für die Insassen der Vernichtungs-, Konzentrations- und Zwangsarbeitslager bedeutete dies die Verzögerung ihrer Befreiung und damit eine Verlängerung ihres Leidens sowie des millionenfachen Mordens. Die Nähe des ,Westwalls’ zum Kriegsgefangenenlager Hollerath kann damit symbolisch für jenes perfide Selbstverständnis des NS-Regimes im Kontext seines Machtverständnisses gelesen werden.

Im Sommer 1944 wurde das Kriegsgefangenenlager Hollerath schließlich aufgelöst. Statt der Kriegsgefangenen wurden nun Mitglieder der Hitlerjugend in den Baracken untergebracht, die Schanzarbeiten am ,Westwall’ verrichten mussten.14

                                                                                 

1 Vgl. Herbert, Ulrich: Fremdarbeiter: Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin: Dietz 1986, S. 136f.
2 Vgl. ebd. S. 135.
3 Vgl. ebd. S. 138.
4 Vgl. Buggeln, Marc/ Wildt, Michael: Lager im Nationalsozialismus. Gemeinschaft und Zwang, in: Bettina Greiner/ Alan Kramer (Hrsg.): Die Welt der Lager. Zur "Erfolgsgeschichte" einer Institution, Hamburg: Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung 2013, S. 166-202, hier S. 191.
5 Vgl. ebd.
6 Vgl. ebd. sowie die von 2005-2009 von Wolfgang Benz und Barbara Distel in 9 Bänden veröffentlichte Reihe "Der Ort des Terrors".
7 Heinen, Franz Albert: "Abgang durch Tod". Zwangsarbeit im Kreis Schleiden 1939-1945, Schleiden, 2018, S. 78.
8 Vgl. Hanf, Walter: Chronik von Hollerath, Hollerath, 1990, S. 121f.
9 Vgl. Heinen, "Abgang" 2018, S. 78.
10 Vgl. ebd. S. 79.
11 Vgl. Tempel, Christoph: Kurze Beschreibung der Geschichte des Westwallbaus in den Jahren 1939-1945, in: Eckhard Gruber (Hrsg): Wir bauen des Reiches Sicherheit. Mythos und Realität des Westwalls 1938 bis 1945, Berlin: Argon-Verlag 1992, S. 8-30, hier S. 30.
12 Vgl. Rass, Christoph: Die Bedeutung des Westwalls für die nationalsozialistische Politik und Kriegsführung, in: Karola Fings/ Frank Möller (Hrsg.): Zukunftsprojekt Westwall. Wege zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit den Überresten der NS-Anlage, Weilerswist: Liebe 2008, S. 49-58, hier S. 54 sowie: Vgl. Rass, Christoph: Der Westwall im Rheinland. Geschichte und Erinnerung, in: Winfried Heinemann/ Heiner Bröckermann (Hrsg.): Burgen, Befestigungen, Bunker, Potsdam: Militärgeschichtliches Forschungsamt Potsdam 2012, S. 63-82 hier S. 74.
13 Vgl. ebd. S. 77.
14 Vgl. Heinen, "Abgang" 2018, S. 81.

Kriegsgefangenenlager