Erinnerungs- und Gedenkkultur der Gegenwart

Der Begriff ,Denkmal’ bezeichnet plastische Werke im öffentlichen Raum, die zur Wahrung des Andenkens an Personen(gruppen) oder bestimmte Ereignisse errichtet wurden und Gedenkorte schaffen oder Gedächtnisorte markieren. Dagegen haben Mahnmale die Funktion, im Namen eines Kollektivs an historische Ereignisse wie militärische Verluste und Niederlagen, insbesondere jedoch an deren Opfer zu erinnern. Sie erheben einen moralischen Anspruch, nicht nur der Opfer zu gedenken, sondern die vorausgegangenen Ereignisse als Mahnung oder Appell aufzufassen, die sich an die Menschheit als Ganzes richten.1

Ein Beispiel findet sich im Umfeld des Kriegsgefangenenlagers Hollerath in den materiellen Überresten des ,Westwalls’ bei Hollerath. Hier etablierte sich in der jüngeren Vergangenheit eine „Konfliktlandschaft“ im Kontext des Zweiten Weltkrieges. Überwiegend durch privates Engagement initiiert, dominieren die Gedenk- und Gedächtnisorte am Beispiel eines durch Gewalt geprägten und stark überformten Ortes die Wahrnehmung und Deutung der Themen ,Krieg’ und ,Frieden’ in Hollerath, ohne jedoch auf das Schicksal der sowjetischen Internierten des Hollerather Kriegsgefangenenlagers aufmerksam zu machen.

Gedenkstein für die 277. Volksgrenadier-Division der Wehrmacht sowie das 393. Inf. Rgt. der 99th U.S. Infantry Division.

Gedenkstein für die 277. Volksgrenadier-Division der Wehrmacht sowie das 393. Inf. Rgt. der 99th U.S. Infantry Division. (Foto: Frank Wobig, NGHM / Universität Osnabrück.)

Im März 2007 wurde ein Gedenkort an jener Stelle eingeweiht, an der am 16. Dezember 1944 die deutsche ,Ardennenoffensive’ auf Hollerather Gebiet ihren Ausgang genommen haben soll. Das Aufstellen des dort befindlichen Gedenksteins geht auf die Initiative die Arbeitsgemeinschaft Luftkriegsgeschichte Rhein-Mosel e.V. zurück. Finanziell unterstützt wurde die Errichtung dieses eher informellen Gedenkortes durch den Kiwani-Club Nordeifel e.V.: Hierbei handelt es sich um einen Verein, der sich nach eigenem Bekunden „vorrangig für Kinder und Jugendliche einsetzt, Freundschaften pflegt, Horizonte erweitert und der Gesellschaft [dient].“2 Inwieweit der Bezug dieses Leitbildes mit dem Gedenken an eine Wehrmachtsdivision in Einklang zu bringen ist, lässt sich gegenwärtig jedoch nicht erklären. Das Grundstück für den Erinnerungsort wurde von der Gemeinde Hellenthal zur Verfügung gestellt.

Der Gedenkstein erinnert an die in der Anfangsphase der ,Ardennenoffensive' am Hollerather Knie kämpfende 277. Volksgrenadier-Division der Wehrmacht sowie das 393. Inf. Rgt. der 99th U.S. Infantry Division. Dabei bleibt das Gedenken jedoch aus einer kritischen geschichtskulturellen Perspektive heraus auf mehreren Ebenen problematisch.

Zum einen wird hier eine Einheit der Wehrmacht nicht als ein ausführendes Instrument in einem rassistischen Vernichtungskrieg benannt, sondern steht gleichberechtigt an der Seite der US Army. Auf diese Weise werden die US-amerikanischen Einheiten als ,Befreier' und jene, die das Leiden der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verlängert haben, gleichgesetzt und nehmen im Kontext der zahlreichen im Krieg getöteten Soldaten eine Art Opferstatus ein.

Jene Gleichsetzung entspricht einem erinnerungskulturellen Duktus, der unhinterfragt seinen Weg in die Gedenkkultur der Nordeifel gefunden hat, der aber auch als äußerst problematisch und sachlich falsch hinterfragt werden muss. Zum anderen findet ein Gedenken und Mahnen an das Sterben der Soldaten statt, das von kausalen Zusammenhängen entkoppelt, lediglich ein Narrativ des soldatischen ,Opfertodes‘ an diesem Gedenkort unkritisch reproduziert.3 Eine ähnlich geschichtsrevisionistische Installation wurde im August 2021 in Nideggen-Schmidt zwischenzeitlich entfernt.4

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Zerstörte Panzersperre am ,Hollerather Knie. (Foto: NGHM / Universität Osnabrück.)

Kant-Zitat auf Panzersperre (Kunstwerk "Zum ewigen Frieden")

Kant-Zitat auf Panzersperre (Foto: NGHM / Universität Osnabrück.)

Neben diesem Erinnerungsort greift das 2016 realisierte Kunstprojekt ‚Zum ewigen Frieden‘ des Kölner Philosophen und Stimmkünstlers Dr. Ralf Peters am Hollerather Knie die Kriegsthematik auf: Neben der historischen Bedeutung der Panzersperren (,Drachenzähne’) fühlte sich Peters durch die von ihm wahrgenommene Ästhetik zum Aufmalen der Zitate Immanuel Kants, die ohne offizielle Genehmigung erfolgte, inspiriert.Nachträgliche Legitimation erfuhr das Projekt durch Rudolf Westerburg, Bürgermeister der Gemeinde Hellenthal und Chef der Unteren Denkmalbehörde. Ein Kriegsrelikt wie die Höckerlinie sei nach Auffassung von Westenburg „trefflich geeignet [...] künstlerisch entsprechend bearbeitet zu werden". Weiterhin vertritt er die Meinung, dass „das Thema Frieden an dieser Stelle passt“.6

Gemäß der Definition handelt es sich bei dem Kunstprojekt weder um ein Denkmal noch um ein Mahnmal. Die Umsetzung des Projektes an einem versteckten Ort im Wald beruht auf der subjektiven Motivation des Initiators und wurde im Vorfeld keinem kritischen Diskurs über die Eignung als Ort der Mahnung zum Frieden im öffentlichen Raum unterzogen. Es muss daher ebenso wie in Bezug auf den Gedenkstein am Hollerather Knie hinterfragt werden, ob und inwieweit hier wirklich zu Friedensprozessen und zum Nachdenken über demokratische Werte angeregt wird.

Mit einem mobilen 3D-Scanner wurden detailgetreue LiDAR-Modelle des Kunstprojektes erstellt, welches Sie hier an einem Beispiel in einer frei wählbaren 360°-Perspektive betrachten können.

Eine positive Entwicklung zeichnet sich hingegen in der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem einstigen Kriegsgefangenenlager Hollerath ab. Seit 1945 Verdrängungsprozessen und fehlendem Willen einer Aufarbeitung in der Bevölkerung und kommunalen Institutionen unterworfen, rückt die Geschichte des Kriegsgefangenenlagers zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Ausgehend von privaten Initiativen konnten sich Politik und Verwaltung der Gemeinde Hellenthal 2021 darauf verständigen, ein Denkmal im Bereich des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers zu errichten, um an das Schicksal der sowjetischen Gefangenen zu erinnern.7

In der nachfolgenden Visualisierung können Sie die Konfliktlandschaft am Hollerather Knie sehen. Bitte „klicken" Sie die einzelnen Objekte für zusätzliche Informationen an!

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1 Vgl. Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas: Erinnerungsorte - Definition, in: Website der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, URL: https://www.stiftung-denkmal.de/wp-content/uploads/Erinnerungsorte_ARB_SEK_2.pdf (abgerufen am 30.08.2022).
2 Vgl. Meurer, Peter: Über die Freude daran, aktiv zu sein! In: Eiffelleben Online,  URL: https://eifelleben.online/ueber-die-freude-daran-aktiv-zu-sein/ (abgerufen am 26.08.2022).
3 Vgl. Echternkamp, Jörg: Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955 (Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 76), München: De Gruyter Oldenbourg 2014, S. 252 - 257.
4 Vgl. Berners, Sarah Maria: Der Stein ist weg, der Diskussionsstoff bleibt, in: Aachener Zeitung, 26.08.2021, URL: https://www.aachener-zeitung.de/lokales/dueren/der-stein-ist-weg-der-diskussionsstoff-bleibt_aid-62373683 (abgerufen am 30.08.2022).
5 Vgl. Kehren, Bernd: Dr. Ralf Peters lud seine „Fans“ zur Friedens-Botschaft ein, in: Kölner Stadtanzeiger, 17. Mai 2017, URL: https://www.ksta.de/region/euskirchen-eifel/eifel/westwall-dr--ralf-peters-lud-seine--fans--zur-friedens-botschaft-ein-26978456 (abgerufen am 15.11.2021). Sowie: Bernd Kehren: Hollerath Das steckt hinter dem illegalem Kunstwerk am Westwall, in: Kölner Stadtanzeiger, 17.04.2017, URL: https://www.ksta.de/region/euskirchen-eifel/hellenthal/hollerath-das-steckt-hinter-dem-illegalem-kunstwerk-am-westwall-26735320 . (abgerufen am 15.11.2021).
6 Ebd.
7 Gemeinde Hellenthal: Gedenkstätte für sowjetische Kriegsgefangene, in: Bürgerinfo. Amtsblatt und Interessantes für Bürger/-Innen und Gäste der Gemeinde Hellenthal. 07/2021, 22. Jhrg. Hellenthal, 18.12.2021, S. 6.