Offene Fragen

Bis heute bleiben im Kontext der Umbettung Walter Models viele Fragen offen. Einerseits sind die genauen Todesumstände Walter Models im Ruhrkessel nicht detailliert bekannt. Die in den Biografien über Walter Model sowie in zahlreichen Aufsätzen immer wieder kolportierte Fassung dazu fußt offenbar auf einer einzigen eidesstattlichen Erklärung des Vorgangs. Diese Erklärung wurde nie hinterfragt. Und alle Bemühungen, den genauen Todesort Walter Models von unabhängiger Seite zu bestimmen, führten zu keinem präzisen Ergebnis. Es gibt weder ein Foto der ursprünglichen Grabstelle noch eine Skizze. Auch dass sich Walter Model kurz vor seinem Suizid noch dafür ausgesprochen haben soll, zusammen mit jungen Soldaten einer Flakbatterie "mit der Waffe in der Hand zu fallen"1, scheint bei seinen Biografen kaum Irritationen über die widersprüchliche Darstellung seiner Todesumstände ausgelöst zu haben.

Als sicher gilt, dass von amerikanischer Seite aus in den letzten Kriegstagen intensiv nach Walter Model gesucht wurde. Ungewiss bleibt, ob sich Walter Model tatsächlich am 21. April 1945 in den Wäldern des Grafen von Spee selbst erschoss. Noch obskurer erscheint der gesamte Komplex der angeblichen Umbettung seiner sterblichen Überreste aus dem Ruhrgebiet auf die Kriegsgräberstätte Vossenack. Bereits in den 1980er-Jahren bezeichneten diejenigen, die sich mit diesen Fragen ebenfalls beschäftigten, darunter auch Behördenvertreter, den Vorgang als "mysteriös"2. Er schien damit zumindest nicht den Normen zu entsprechen, die für Umbettungsvorgänge galten, und hinterließ viele ungeklärte Fragen.
Folgt man den Hinweisen, die sich in den Behördenschriftwechseln finden, hatte Walter Model nie umgebettet werden wollen. Gewöhnlich folgen Familienangehörige den letzten Wünschen eines Toten. Außerdem spricht einiges dafür, dass es in der Familie zu Konflikten um die Umbettungsfrage gekommen ist. Hansgeorg Model, Walter Models Sohn, trieb – den Erzählungen zufolge – die Umbettung offensichtlich als einziges Familienmitglied voran. Wie aber sah dann der innerfamiliäre Kompromiss in der Umbettungsfrage aus, den es auszuhandeln galt.

Daran schließt sich die Frage an, ob Walter Models sterbliche Überreste – sofern sie im Wald südlich von Duisburg gelegen haben – überhaupt nach Vossenack umgebettet wurden. Gestellt werden kann diese Frage aufgrund der ungeklärten Hintergründe dazu, wieso eine schriftliche Umbettungsgenehmigung durch den VDK Kassel, eine Skizze des Ortes, von dem aus umgebettet wurde und ein Umbettungsprotokoll fehlen. Wurde der nicht weit vom angeblichen Todesort ansässige VDK-Landesverband in Essen bei der Umbettung gezielt übergangen? Und wieso fand die angebliche Umbettung eines so 'prominenten' Toten unter den Angehörigen der Wehrmacht ohne weitere Familienangehörige, lokale politische Repräsentanten und die Presse statt? Da es 1955 dennoch einen Vorgang am Grab 1074 gegeben hat, der aktenkundig belegt ist, spricht vieles dafür, dass es sich dabei um eine symbolische Umbettung gehandelt haben könnte. Dies würde bedeuten, dass sich im Grab auf der Kriegsgräberstätte nicht Models menschliche Überresten befänden, sondern das Grab lediglich symbolisch - für seinen hohen Rang innerhalb der Wehrmacht und als Teil der Kämpfe im 'Hürtgenwald' - angelegt worden wäre. Damit hätte man Model enger in den Kontext der regionalen Gedenkkultur der 'Schlacht im Hürtgenwald' eingebunden, als seine ursprüngliche Bestattungsstelle zugelassen hätte und einer Art 'Pilgerort' Vorschub geleistet. Mit einer symbolischen Umbettung wäre nicht gegen Models testamentarischen Wunsch verstoßen und gleichzeitig ein innerfamiliärer Kompromiss erzielt worden.

Es ist denkbar, dass Konstantin von Béguelin und Hansgeorg Model sich nicht erst bei der Planung der Umbettung begegnet sind, sondern sich bereits zuvor gekannt haben. Von Béguelin war während des Krieges im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) als Bearbeiter von Kriegsgräberfragen tätig und hatte mit dem Volksbund in Kontakt gestanden.3 Nach Ende des Krieges hielt er im Rahmen seiner Arbeit für den Volksbund zahlreiche Verbindungen zu Soldatenverbänden und Traditionsgemeinschaften, darunter auch zur Traditionsgemeinschaft Großdeutschland. Hansgeorg Model wiederum war als Offiziersanwärter Ende 1944 dem Ersatzgruppenteil der Sturmgeschützbrigade Großdeutschland beigetreten. Eine spätere Verbindung beider über einen Veteranenverband wäre somit nicht unwahrscheinlich. 

Dass Hansgeorg Model Verbindungen zu Veteranenverbänden hatte, ist ebenfalls eindeutig nachweisbar. In dem bereits zitierten Schreiben vom 23. März 1954 erwähnt er seinen Kontakt zu General Beisswänger (Ulm), dem damaligen Hauptgeschäftsführer des rechten Verbands Deutscher Soldaten.4 Diese Verbindungen eröffnen im Hinblick auf die Umbettung Walter Models neue Fragen: War die - mutmaßliche - Umbettung Models lediglich eine Inszenierung? Sollte der Generalfeldmarschall symbolisch inmitten 'seiner' Soldaten mit dem Ziel in Szene gesetzt werden, ihn in der vermeintlichen Geborgenheit der ehemaligen 'Kampfgemeinschaft' zu idealisieren und um hierdurch von seiner 'Hitlertreue' und seinen Kriegsverbrechen abzulenken? Ein solches Motiv würde durchaus dem von Soldatenverbänden und Traditionsgemeinschaften der 1950er-Jahre gepflegten Narrativ entsprechen.5

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1 Model / Bradley 1991: Dokumentation, S. 384.
2 Raimund Lorenz schreibt an die Kreisverwaltung Düren: „Die Umbettung bleibt weiter mysteriös“ und kennzeichnet in einem späteren Schreiben die Datierung „20.11.59“ auf dem Umbettungsprotokoll ebenfalls als „Mysteriös“. In: Brief von Raimund Lorenz, Essen vom 16.12.1987 an die Kreisverwaltung Düren, Kämmerei, Kreiskämmerer Ink und Herrn Langer, Brief von Raimund Lorenz, Essen vom 22.03.1988 an die Kreisverwaltung Düren, Kämmerei, Kreiskämmerer Ink. Beide Briefe Stadt- und Kreisarchiv Düren, Moderne Akten 4325. Auch die Kreiskämmerei hält die Umstände der Umbettung „für fast misteriös [sic]“, wie sie gegenüber der Deutschen Dienststelle äußert. Brief der Kreiskämmerei Düren, Ink/Langer vom 27.01.1988 an die Deutsche Dienststelle, Berlin. Stadt- und Kreisarchiv Düren, Moderne Akten 4325.
3 Das geht aus einer Rede des damaligen Präsidenten des VDK bei der Trauerfeier für Konstantin von Béguelin auf dem Südfriedhof in Bonn vom 06.06.1963 hervor. Archiv Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Niestetal (ehem. Kassel).
4 Brief von Hansgeorg Model, Bad Godesberg-Pech vom 23.03.1954 an den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Bundesgeschäftsstelle, Kassel, Abteilungsleiter Froneberg. Stadt- und Kreisarchiv Düren, Moderne Akten 4325.
5 Manig, Bert Oliver: Die Politik der Ehre. Die Rehabilitierung der Berufssoldaten in der frühen Bundesrepublik. Göttingen: Wallstein Verlag 2004; Klaus Naumann: Generale in der Demokratie. Generationsgeschichtliche Studien zur Bundeswehrelite. Hamburg: Hamburger Edition 2007; Jörg Echternkamp: Soldaten im Nachkrieg. Historische Deutungskonflikte und westdeutsche Demokratisierung 1945-1955. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2014.