Walter Models Tod

Walter Model vertrat bis kurz vor seinem Tod die Annahme, der für die Nationalsozialisten längst aussichtslos gewordene Zweite Weltkrieg könne doch noch gewonnen werden. Zwar scheint er sich der aussichtslosen Lage der Wehrmacht bewusst gewesen zu sein, seine Tagesbefehle, ebenso wie die Briefe an seine Frau, wurden mit Blick auf seine Überzeugung, weiter kämpfen zu müssen, dabei jedoch immer phrasenhafter:

"Jeder muss sich nun beispielhaft bewähren, damit wir uns zu einem erfolgreichen Kriegsende durchringen"1, schrieb er beispielsweise Ende Januar an seine Frau Herta Model. Knapp zwei Monate später unter Verwendung zahlreicher Ausrufezeichen schreibt er: "Sterben müssen alle, das wissen sie, mögen sie sich auch alle zum innerlich frohen Sterben bereitfinden! Noch können wir alle gute Hoffnung haben! In diesem Geiste kämpfen hier alle!"2 Sein Duktus scheint der Überzeugung zu folgen, dass das Weiterkämpfen eine Verpflichtung als deutscher Soldat sei, man dürfe – trotz der Überlegenheit der Amerikaner, welche er explizit benennt – nicht resignieren, da "schließlich etwas Gutes heraus [kommt, Erg. durch die Verf.]"3. Was seinem Verständnis nach das vermeintlich 'Gute' sei, definiert er nicht näher.  

Vor den Hintergründen der historischen Ereignisse ist anzunehmen, dass sich auch Walter Model die militärische und systemische Niederlage des NS-Regimes eingestehen und die folgenden potentiellen Konsequenzen ziehen musste. So habe er laut des bekannten Narrativs am 17. April 1945 im Stadtwald von Haan, südwestlich von Wuppertal, eine Art Abschiedsansprache vor dem Stab seiner Heeresgruppe B gehalten, da er sich einer bedingungslosen Kapitulation verweigert und stattdessen die Selbstauflösung der Heeresgruppe beschlossen hatte. Von jener Ansprache liegt eine auf Grundlage handschriftlicher Notizen später gefertigte Mitschrift vor.4 Danach stellte Model es seinen Untergebenen frei, sich zu den in Mitteldeutschland noch kämpfenden Heeresteilen durchzuschlagen oder den Kampf "bis zur letzten Patrone"5 vor Ort fortzusetzen, um dann gemeinsam den 'Soldatentod' zu sterben.

Model selbst hätte sich – laut Mitschrift –  für die zweite Möglichkeit, vor Ort weiter zu kämpfen entschieden: "Ich habe eine kampferprobte Flakbatterie ausfindig gemacht, mit prächtigen jungen Soldaten, die mir das Versprechen gegeben haben, mit mir bis zum Letzten zu kämpfen und mit der Waffe in der Hand zu fallen."6 Dies hätte seinem in zahlreichen Dokumenten vertretenen 'Soldaten-Ethos' von Treue und Kameradschaft durchaus entsprochen; allerdings handelte Model nicht jener Vermutung nach, sodass an dieser Stelle die Narrative einen deutlichen Widerspruch bilden. So soll Walter Model noch in den letzten Tagen des Krieges südlich von Duisburg Suizid durch Erschießen begangen haben. Diese Erzählung wird in beinahe allen Texten über den Generalfeldmarschall kolportiert, wobei selten erwähnt wird, dass diese Darstellung seines Todes offenbar in erster Linie auf einem einzigen Schriftstück basiert: auf einer 1951 von Theodor Pilling, dem letzten Adjutanten Models und späteren Oberst a. D., abgegebenen eidesstattlichen Versicherung. Darin heißt es:

"Vom 10. November 1944 bis 21. April 1945 gehörte ich, Theodor Pilling, als Oberst und Adjutant [sic] der deutschen Heeresgruppe B an. Oberbefehlshaber dieser Heeresgruppe war in dem genannten Zeitraum der am 24. Januar 1891 in Genthin geborene damalige Generalfeldmarschall Walter Model. Generalfeldmarschall Model hat sich am 21. April 1945 gegen 16 Uhr in meiner Gegenwart in einem südlich Duisburg zwischen den Orten Lintorf und Wedau gelegenen Waldstück mit seiner Dienstpistole Kaliber 6,35 mm eigenhändig erschossen. Gemeinsam mit dem damaligen Oberstleutnant Michael und dem damaligen Major Winrich Behr ist die Leiche wenige Stunden später von mir in dem bezeichneten Waldstück bestattet worden."7

Das benannte Waldstück zählt zum Besitz des Grafen von Spee. Die zeitlichen und örtlichen Angaben wurden im Jahr darauf in die Sterbeurkunde Models übernommen.8

Die nachfolgende Karte zeigt das südlich von Duisburg zwischen den Orten Wedau und Lintorf gelegene ausgedehnte Waldgebiet, in dem Walter Model Suizid begangen haben und erstbestattet worden sein soll. Durch Scrollen haben Sie die Möglichkeit, den Kartenausschnitt zu vergrößern oder zu verkleinern.

Theodor Pilling, der einzige Zeuge der von ihm behaupteten Selbsttötung, war Walter Model eng verbunden. Da Pilling jedoch bereits 1956 in Hamburg starb, können seine Angaben nur aus der oben genannten Erzählung nachvollzogen werden.9 Auch die nach der alleinigen Aussage Pillings bei der Bestattung Models anwesenden Roger Michael und Winrich Behr leben heute nicht mehr. Michael war nach dem Krieg der Organisation Gehlen beigetreten, kehrte von einer seiner Dienstreisen in den Osten jedoch nicht mehr zurück und gilt seither als verschollen.10 Winrich Behr, der während des Krieges vier Feldmarschallen als Stabsoffizier gedient hatte,11 starb 2011 im Alter von 93 Jahren.12 Wie verlässlich die Aussage Theodor Pillings über die Umstände von Walter Models Tod ist, bleibt folglich offen.

Spätere Bemühungen, die Umstände Walter Models Tod genauer zu klären, gab es nur selten. Sie waren vor allem in der Region der Nordeifel relevant, reichten jedoch kaum darüber hinaus. So hatte beispielsweise Wolfgang Reith aus Neuss nach Models Todesort und -umständen geforscht. Dabei kam er in Kontakt mit dessen Sohn, der damals bereits 86 Jahre alt war. Im Laufe des Gesprächs berichtete Hansgeorg Model, wie er vor der angeblichen Umbettung der Überreste seines Vaters zu der Grabstelle gelangte. Demnach hätte Winrich Behr ihn dorthin geführt: "Dies war damals insofern möglich, weil die hohen Eichen, unter denen sich das Ereignis abgespielt hatte, noch standen (sie existieren heute längst nicht mehr). Außerdem hatte Behr seinerzeit in eine der Eichen ein 'M' eingeritzt, das er 1955 wiedererkannte"13, so hielt es Wolfgang Reith fest. Hansgeorg Model habe ihm auch mitgeteilt, dass er nach 1955 nur noch einmal an dem Ort gewesen sei, damals aber
"schon Schwierigkeiten gehabt gehabt [hätte], die Stelle wiederzufinden, weil sich die Umgebung zwischenzeitlich stark verändert hatte. […]. Mit dem Grafen von Spee hatte er seinerzeit noch überlegt, ob man am eigentlichen Todesort ein kleines Kreuz oder einen Gedenkstein aufstellen sollte, doch ließ man den Gedanken bald wieder fallen, weil die Gefahr bestand, daß hier ein 'Wallfahrtsort' für Rechtsextremisten entstehen würde, was man unter allen Umständen vermeiden wollte. […]. Zwar habe man die Fundstelle der Gebeine damals noch vermessen, aber trotzdem werde sie für alle Zeiten unmarkiert bleiben."14

Auch hier schließen sich weitere Fragen an: Wieso vermied man bei Ratingen eine Kennzeichnung des Todesortes aus angeblicher Sorge vor Rechtsextremisten? Das Risiko, dass Rechtsextreme eine Grabstätte des Feldmarschalls, der Hitler willig gefolgt war und wesentliche Elemente der nationalsozialistischen Ideologie verinnerlicht hatte, aufsuchen würden, ganz gleich ob im Ruhrgebiet oder in der Nordeifel, musste auch Hansgeorg Model damals klar gewesen sein. Wäre es tatsächlich darum gegangen, rechtsextremen dark tourism15 vorzubeugen, dann hätte man nicht nur auf eine Kennzeichnung des angeblichen Todesortes verzichten, sondern konsequenterweise ganz von einer Umbettung und einer Kennzeichnung am Zielort der Umbettung durch eine Grabplatte absehen müssen. Da dies jedoch nicht geschah, stellt sich die Frage nach den Intentionen Hansgeorg Models. 

Die genauen Todesumstände Walter Models sind bis heute nicht geklärt. Alle Erzählungen darüber beruhen letztlich auf der knappen eidesstattlichen Versicherung seines Adjutanten Theodor Pilling. Wie glaubwürdig diese ist, ist aufgrund der Abhängigkeit Pillings und dessen Verbundenheit mit Model zu hinterfragen. Der exakte Todesort Models ist bis heute nicht mit Sicherheit bekannt. Fotos von der Beisetzung gibt es nicht und eine Sterbeurkunde wurde erst viele Jahre nach den Ereignissen ausgestellt. Die Angaben darin fußen ebenfalls einzig auf der Darstellung Pillings. Die mündlichen Aussagen der angeblich beim Suizid oder bei der Bestattung anwesenden Personen wurden zu deren Lebzeiten nicht überprüft und sind heute nicht mehr überprüfbar, weil alle Beteiligten inzwischen verstorben sind. Ob sich Walter Model also am 21. April 1945 erschossen hat, lässt sich ohne größeren Rechercheaufwand kaum mehr klären. Weil diese Zweifel nicht ausgeräumt werden können, ist es sinnvoll, dem letzten Abschnitt der Geschichte Walter Models nachzugehen.

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1 Brief von Walter Model an seine Frau vom 29.01.1945. Zit. n. Model, Hansgeorg / Bradley, Dermot: Generalfeldmarschall Walter Model (1891-1945). Dokumentation eines Soldatenlebens. Osnabrück: Biblio Verlag 1991, S. 367.

2 Brief von Walter Model an seine Frau vom 24.03.1945. Zit. n. Model / Bradley 1991: Dokumentation, S. 374.

3 ebd.

4 Model / Bradley 1991: Dokumentation, S. 384.

5 ebd.

6 ebd.

7 Eidesstattliche Versicherung Theodor Pillings vor dem Badischen Notariat, Freiburg i. Br. vom 24.04.1951. In: Model / Bradley 1991: Dokumentation, S. 386-387, hier S. 386. Kursivsetzung hier nachträglich zur besseren Lesbarkeit ergänzt.

8 Sterbeurkunde Walter Models, ausgestellt vom Standesamt 1, Dresden am 10.06.1952. In: Model / Bradley 1991: Dokumentation, S. 388.

9 Görlitz, Walter: Model. Strategie der Defensive. Wiesbaden: Limes-Verlag 1993, S. 266.

10 ebd., S. 268.

11 Stein, Marcel: Generalfeldmarschall Walter Model. Legende und Wirklichkeit. Bissendorf: Biblio Verlag 2001, S. IX.

12 Die Angaben zum Tod von Behr fußen auf einem Beitrag von Wolfgang Reith: Ende Ruhrkampf 1945. In: Wochenanzeiger Duisburg vom 18.04.2015, URL: https://www.lokalkompass.de/duisburg/c-politik/ende-ruhrkampf-1945_a537336 (zuletzt aufgerufen: 10.11.2023). Wolfgang Reith sei für seine freundliche Auskunft in Sachen Model gedankt.

13 ebd.

14 ebd., Kursivsetzung zur besseren Lesbarkeit nachträglich ergänzt. 

15 Unter dem Begriff dark tourism werden in der Forschung Reisen oder andere touristische Unternehmungen verstanden, die sich auf (historische) Orte oder Gebiete, die im Kontext von Tod, Gewalt, Trauma oder Naturkatastrophen stehen, beziehen. Siehe dazu Hooper, Glenn / Lennon, John J. (2017): Dark Tourism. Practice and interpretation. London/ New York: Routledge.